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Wofür stehen wir?


Virtuelle Beratungsformate sind durch Corona ein rasant beschleunigter und alltäglich gewordener Bestandteil der Beratungsarbeit geworden. Welche Haltung braucht der Einsatz virtueller oder hybrider Formate in Zukunft? Gehen wir ausreichend verantwortungsvoll mit virtuellen Beratungsangeboten um? Wie bleiben wir beidhändig agierend gleichermaßen wirksam? Und welchen Standpunkt braucht die persönliche Begegnung während dieser Zeitenwende?

Digitale Tools haben bisher so lange koexistiert, bis Corona sie in den vergangenen zwölf Monaten zwangsläufig in unser aller privates und professionelles Leben integriert hat. Ein digitaler Segen unserer Zeit und zunächst krisenbedingt eingetretener Status-quo hat sich mittlerweile als zukunftsweisend für die gesamte Beratungsarbeit etabliert. Zusammenarbeit im Kontext «Beratung» findet jetzt in großen Teilen virtuell statt. Wenn wir innehalten und die hinter uns liegenden Monate mit der Haltung betrachten, dass es radikal zukunftsweisende für unser Schaffen waren, welche Fragen müssen wir uns dann eigentlich stellen? Ist es an der Zeit, tief im eigenen professionellen Selbstverständnis zu graben und herauszufinden, welche Haltung virtuelle Beratungsarbeit braucht? Wofür wollen wir stehen, wenn wir beidhändig, hybrid arbeiten wollen? Was brauchen Kundensysteme im Umgang mit virtuellen Beratungsformaten von uns? Geht es nicht auch um die Zukunft der Präsenzberatung, der physischen Begegnung von Mensch zu Mensch?

Verändern und Bewahren

Phasen des Wandels konfrontieren uns mit dem Wechselspiel von Verändern und Bewahren. Diese Dynamik gilt es aus balanciert zu integrieren, wenn nachhaltiger Wandel gelingen soll. Veränderung braucht Altbewährtes, Altbewährtes braucht Veränderung. Wenn wir davon ausgehen, dass virtuelle Beratungsformate die Veränderung sind und langfristig Bestandteil alltäglicher Beratungsarbeit bleiben, stellt sich die Frage: was gilt es – abgesehen von der altbewährten Präsenz-Beratung – zu bewahren und warum? Eine relevante Dimension, die hier betrachtet werden sollte, ist die der bisherigen Wirksamkeit. Wann waren Beratungsformate in Präsenz wirksam? Was genau macht diese Wirkkraft aus? Was hat im persönlichen Miteinander nachhaltig Entwicklung in Gang gesetzt? Denn was wir bis dato erfahren haben ist: im Momentum der persönlichen Begegnung (im Kontext Beratung) liegt wesentliche Wirkkraft.

Wirksame Präsenzberatung

Die persönliche Begegnung mit Organisationen, Teams und Persönlichkeiten öffnen uns für Beobachtungen, anhand derer wir Hypothesen bilden und Interventionen beschließen können. Dies kann den entscheidenden Unterschied machen. So kann Unbeobachtbares wahrnehmbar werden, non-verbal, durch leise oder laute Resonanzen, energetisch, durch Gesagtes und Nicht-Gesagtes. Metatheoretisch betrachtet, wird all dies in beraterische Wirksamkeit einbezogen. Das Ganze kann sogar eine seelische oder spirituelle Dimension enthalten. Denn alles was wir haben, alles, was wir sind, alles, was um uns herum geschieht, fließt dann mittels unseres persönlichen Kraftfeldes in unsere Arbeit ein. Als ganzer Mensch stellen wir uns als Resonanzkörper zur Verfügung, der all das Wahrgenommene in seine Arbeit mit einfließen lässt, damit arbeitet, Bilder, Stimmungen und Emotionen integriert. Im Grunde geht es um nicht weniger, als um eine zwischenmenschlich seelische Komponente, die Beratung erst zu dem werden lässt, was sie manchmal wird. Dieser Perspektive liegt ein beraterisches Selbstverständnis zu Grunde, eine Haltung, die bewahrenswert ist. Und gleichermaßen genau jetzt, eine Veränderung erfährt. Denn virtuelle Beratungsformate sind schon heute fester Bestandteil beraterischer Zukunft und verändern so bisherige Beratungsarbeit nachhaltig. Aber was brauchen hybride Beratungsansätze, sowohl virtuell als auch persönlich, für eine Beratungshaltung um auch zukünftig wirksam zu sein?

Wirkkraft virtueller Formate

Die beschriebenen, relevanten Nuancen von Beratungsarbeit sind virtuell schwer in einer ähnlichen Wirkkraft umsetzbar. Hier gilt es, Position zu Gunsten der Wirksamkeit zu beziehen und ein beraterisches Selbstverständnis zu vertreten. Virtuell ist nicht unwirksam, aber das Virtuelle hat, bedingt durch die menschliche Distanz, einen Filtereffekt, trennt filigrane Feinheiten und auch Elementares aus der Begegnung heraus. Virtuelle Settings produzieren Nichtbeobachtbares, Nichtsichtbares, Interpretationsspielräume und Diffuses. Nonverbales bleibt allzu oft verdeckt, oder im Sinne der Wirksamkeit, nicht wahrnehmbar. Das kann beraterische Wirkkraft beschneiden. Das kann Kultur, als die Persönlichkeit der Gemeinschaft, falsch transportieren, Hypothesen und Interventionen unwirksam verpuffen lassen. Den Einsatz virtueller Beratungsformate gilt es achtsam zu empfehlen. Es anzubieten, macht Sinn. Aber selbst dann, wenn Kunden die virtuelle Zusammenarbeit einfordern, kann das mutig und wenn nötig kritisch hinterfragt werden. Als erste Beratungsintervention sollte auftragsautonom, aber im klar beratenden Dialog mit dem Auftraggebersystem abgewogen werden. Hier sind die vielen Vorteile, die virtuelle oder sogar hybride Beratungsformate bieten können unbestritten! Virtuelles Arbeiten muss konkret dann zum Einsatz kommen, wenn es wirklich wirksam werden kann. Dabei geht es dann nicht um den praktischen Zweck, den es ergänzend zur Präsenzberatung ohnehin in Beratungsprozessen erfüllt, zum Beispiel loszulösen davon, zur gleichen Zeit, am gleichen Ort zu sein. Zweckerfüllend ist virtuell vor allem dann, wenn es in Ergänzung zu Präsenzformaten eingesetzt wird oder dauerhaft verfügbare Resonanzräume eröffnet und eine permanente Beteiligung angeboten werden soll. Dieses Verständnis zur Sache als solches, sollte dann auch als erste Intervention im Auftraggebersystem bewusst verankert werden. Die Entscheidung, ob persönliche Beratung, virtuelle Formate oder hybride Ansätze in die Umsetzung gehen, fordert im Kundensystem beraterische Begleitung, ein klares Rollenbewusstsein, hier auch kulturschaffend zu wirken. Nicht zuletzt, um hier immer wieder ein Bewusstsein für die Relevanz der achtsamen, wirklich wirksamen Setting-Auswahl zu bewirken. Wenn wir nur verändern, indem wir virtuelle oder hybride Formate anbieten, bewahren wir wesentliche Essenzen beraterischer Wirksamkeit nicht. Es gilt, die beraterische Haltung, um die Option der virtuellen Beratungsarbeit zu erweitern, dabei aber der Wirksamkeit im Sinne der partizipierten Menschen zu dienen.

 

Quellenangaben:
Hartje, Nadine (2021). OrganisationsEntwicklung, Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management, Nr. 2 I 2021, S. 97ff.

 

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