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Was hilft Topmanagern, wenn sie plötzlich aus dem System fallen?


Dieser Artikel stammt aus der neuen Ausgabe der Frankfurter Allgemeine Quarterly (03/2025) – jetzt erhältlich im Zeitschriftenhandel oder auch online zu finden. Das Heft bietet viele weitere lesenswerte Artikel & Beiträge aus Gesellschaft, Wirtschaft & dem Wandel unserer Zeit. Einen Vorgeschmack gibt es nun hier:

Es war Dienstagnachmittag, als Anton ganz unten ankam. Er stand in der Tiefgarage des Konzerns, den er bis eben mitgeleitet hatte, und kam nicht raus. Morgens war er noch gefahren worden als einer vom sogenannten C-Level – also einer der Chiefs, der Vorstände, ganz oben der CEO, der Chief Executive Officer. Anton war einer dieser Lenker, die über Milliardengeschäfte entscheiden und das Schicksal von Tausenden Angestellten. Dann, Dienstag, 16 Uhr, Sondersitzung, der Aufsichtsrat tauscht die Führungsebene aus. Unerwartet und plötzlich.

Anton durfte nicht an seinen Computer zurück. Sein Mailaccount wurde gesperrt, Handy, Laptop, Schlüssel musste er sofort abgeben. Zwei breite Kerle vom Sicherheitsdienst führten ihn nach unten. Dort war er allein. Er legte die Aktentasche in den Kofferraum seines Privatwagens, der seit Wochen hier stand, aber sein Kärtchen öffnete die Schranke nicht mehr. Er wusste nicht, was tun. Immer hatten andere alles für ihn getan. Sein Hemd von Bottega war verschwitzt.

Nur der Name ist erfunden an dieser Anekdote. „Oft sind diese Menschen immer steil aufgestiegen – und werden dann plötzlich entlassen. Das kann brutal wirken“, erklärt der Coach Volker Köhninger. Er ist ausgebildeter psychologischer Pädagoge, wurde dann systemischer Trainer und Berater und half 30 Jahre lang großen Unternehmen. Irgendwann entdeckte er: Viele aus dem Topmanagement brauchen einen diskreten Coach. Um klarzukommen. Vor allem: beim Aus- oder Umstieg. Denn darauf bereitet niemand die Achiever und Performer vor. Dass man irgendwann aufhören muss, wird verdrängt, als sei es eine schwere Krankheit.

Es gibt Hunderte Bücher über den Weg zum Erfolg und etliche Dokus über die Großen der Wirtschaft, von Jeff Bezos über Steve Jobs bis hin zu etwa dem dm-Gründer Götz Werner. Menschen, die Macht, Luxus und Lebensqualität erleben, verehrt oder verachtet werden. Doch bricht die Karriere ab oder rückt das Ende näher, geraten viele Manager ins Taumeln. Sie hadern damit, nicht mehr gebraucht zu werden. Rutschen in psychische Probleme oder Sucht ab. Offen damit umgehen dürfen sie nicht. Denn das kratzt an ihrem Image in einer Welt, die auf Sieger setzt.

In einer Umfrage der Zeitschrift Harvard Business Review unter Vorstandsvorsitzenden gaben 50 Prozent an, sich einsam in ihrer Rolle zu fühlen. 70 Prozent erklärten, der Job wirke negativ auf ihr Privatleben. In der Studie 2024 State of Workplace Empathy Study sagte mehr als die Hälfte der befragten CEOs, dass sie im vergangenen Jahr Probleme mit der mentalen Gesundheit hatten. Köhninger kann das alles bestätigen: „Ihre Arbeitswoche hat sieben Tage, Freizeit kennen sie kaum. An vier bis fünf Abenden muss man sich auf Veranstaltungen zeigen, muss netzwerken. Der Job nimmt oft 90 Prozent des Lebens ein, der kleine Rest ist für die Familie da, Freundschaften können diese Menschen nicht pflegen.“

Was schon während des Berufslebens ein Problem ist, wird am Ende zum Drama. „Ich glaube, dass der überwiegende Teil nicht in guter Weise aufhört und am Ende unglücklich ist“, vermutet der Experte. „Dann kommt noch Scham dazu, weil jemand nichts mehr zu tun hat, keiner mehr anruft. Das empfinden viele als entwürdigend.“

Einige berühmte Manager ließen es nicht so weit kommen und stiegen aus Topkarrieren aus: Werner Seifert, der Chef der Deutschen Börse AG, zog mit nur 55 Jahren an die irische Atlantikküste und widmete sich dem Jazz-Piano. Der New Yorker Wirtschaftswissenschaftler Mohamed El-Erian gab den Vorstandsvorsitz beim Investment-Giganten Pimco auf, weil seine zehnjährige Tochter ihm in einem Brief geschrieben hatte, dass er viel zu wenig bei ihr sei. Doch Anekdoten wie diese sind selten. Die meisten halten durch, auch wenn es wehtut.

Aber die Wahrnehmung ändert sich. Aufhören gilt heute nicht immer als Scheitern. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert zog sich zurück, weil die Gesundheit litt. Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang trat zurück und sprach offen über ihre Probleme. Das ist neu. Und sich helfen zu lassen, ist heute auch normal. „Noch vor zehn Jahren fühlten viele sich als Versager, wenn sie einen Coach nahmen“, erklärt Köhninger. „Heute tun die Menschen es mit einem Ziel. Sie wollen optimistischer und inspirierter nach vorn schauen. Ängste und Schwächen nehmen wir heute als wichtige Signalgeber wahr.“

Doch die Vorsicht überwiegt: Ein wichtiger Konzernmanager, der für diesen Artikel mit dem Quarterly über Strategien gesprochen hatte, mit dem hohen Druck umzugehen, vielleicht auch mal einen hoch dotierten Job abzulehnen, wollte dann doch lieber anonym bleiben, weil die Wahl für einen Vorstandsposten anstand. Alles, was als Schwäche ausgelegt werden kann, ist in dieser Welt ein Risikofaktor für die Karriere.

Spitzenmanager kennen immer nur den Weg nach oben. Bei dem helfen Business Schools, Sachbuch-Ratgeber und Businesscoaches, aber nie bei Überforderung und Zweifel. „Das Leben der Alphamanager geht auf die Gesundheit. Körperlich wie seelisch. Das geht bis hin zu Medikamenten- und Alkoholmissbrauch, Spiel- oder Pornosucht, Liebesbeziehungen mit ungesunder Dynamik“, sagt Köhninger. „Aber die meisten haben keine Vertrauensperson, mit der sie existenzielle psychologische und finanzielle Themen bereden können.“

Als Köhninger 1993 anfing, gab es den Beruf Coach noch gar nicht. Er nennt sich bis heute lieber Sparringspartner. Seine Klienten machen oft Karriere, um möglichst viel gestalten zu können, oben an der Spitze sind sie auf einmal so fremdbestimmt wie noch nie. Also redet er mit ihnen. Über innere Glaubenssätze, über Ziele, über die Vision, die jemand mit 20 von sich hatte.

„Die Rollenbilder in den Medien suggerieren: Man studiert, geht nach Harvard, gründet in einer Garage eine Firma, wird Millionär. Aber die wahre Story ist viel unangenehmer“, sagt auch Unternehmer Sven Jungmann. Der Berliner war Fallschirmjäger, wurde dann Arzt, absolvierte Zusatzausbildungen in Oxford und Cambridge, ging als Chief Medical Officer zu einem Start-up der Helios-Kliniken, sitzt heute in mehreren Beiräten, etwa bei einer Investmentfirma. Er baut heute selbst Medizin-Start-ups auf.

Vor ein paar Jahren hustete er plötzlich viel, fühlte sich oft krank. Musste akzeptieren, dass er über seine Grenzen geht.
„Irgendwann sagte ein großer Investor zu mir: Man merkt, dass du platt bist und zu wenig Sport machst, du musst das ändern. In der Start-up-Szene geht es auch um Ausstrahlung, ein gesunder, gut trainierter Körper ist ideal, man muss dir ansehen, dass du leistungsfähig bist. Der Körper lügt nicht. Man kann sich eine Rolex umbinden, aber Fitness kann man nicht faken.“

Jungmann änderte vieles in seinem Leben, lernte besser mit Druck umzugehen. Heute arbeite er immer noch extrem viel, plane aber umsichtiger. „Ich höre darauf, wenn ich eine Pause brauche. Ich übe, Nein zu sagen. Mich radikal zu fokussieren. Überlege bewusst, mit wem ich Zeit verbringe. Gehe jeden Tag zum Sport, gleich morgens, zum Klarwerden“, erklärt er.

Gerade bringt er sein neues Start-up „Aiomics“ an den Markt, eine KI-gestützte medizinische Onlineberatung. Aber er weiß auch: „Am Ende deines Lebens wird niemand fragen, wie viele Stunden du geleistet hast. Sondern eher Dinge wie: ob du ein verlässlicher Freund warst, ein guter Partner, ein guter Vater, ein angenehmer Gesprächspartner. Geld spielt am Ende des Lebens keine Rolle mehr, nur noch das Qualitative. Das ist das Wichtigste. Das sollte man wissen. Und dann kann ich ja immer noch ein super Unternehmer sein.“

Mit seiner neuen Umsicht dürfte Jungmann im Trend liegen. „Zurzeit tut sich etwas“, sagt Volker Köhninger. „Das ist gut so. Die Wirtschaftselite braucht einen Wandel.“

In einer Umfrage des Verbandes Wirtschaftsjunioren Deutschland unter Studierenden und jungen Führungskräften im Alter von 15 bis 25 Jahren gaben knapp drei Viertel an, dass ihnen eine gute Work-Life-Balance sehr wichtig oder wichtig ist. Und die private Fachhochschule IU aus Erfurt ermittelte in einer Befragung ihrer Studierenden, dass nur 9,5 Prozent die Karriere über das Privatleben stellen würden.

So könnten die Führungskräfte und Topmanager in naher Zukunft vielleicht doch noch zum Vorbild für alle werden. Denn viele Menschen stehen heute unter Druck, und die meisten wollen aber gesund und gut leben. „Da hilft es eben, sein Leben einmal von seinem Ende her zu planen“, sagt Coach Volker Köhninger. „Worauf möchte man zurückblicken? Wer sich das genau überlegt, ist schon sehr weit gekommen.“

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